Ernst Albrecht
Gest. 13. Dezember 2014 Rede in Hannover am 22.12.14 (Begrüßung der
Vietnamesen)
Selten fallen Anspruch und Wirklichkeit ineinander. Hier war es einmal so. Der
Anspruch des Evangeliums: Nur der ist jemandem, der im Süd-.China Meer
ertrinken kann, der Nächste ist, der ihn dort herausholt. Die Wirklichkeit ist das
Amt des Ministerpräsidenten eines Bundeslandes. Beides kam zusammen. Das
nennt man einen außergewöhnlichen Moment. Wir wollen zum Tode von Ernst
Albrecht innehalten und ihm dafür noch einmal Dank sagen.
Wir erlebten 1978-1986 einen solchen privilegierten Moment… Eine
humanitären Menschenrettungsaktion als Gemeinschaftsunternehmen von
Bevölkerung, Bürgerinitiative und Staat; da das so selten in unserer
Zeitgeschichte ist, möchte ich das noch mal zu Ehren von Dr. Ernst Albrecht
erklären und erzählen. Der Vietnam Krieg war eine der fürchterlichsten
Kriegserfahrungen, die wir als junge Generation, auch als 68 er mitgemacht
haben. .
Die kommunistischen Vietnamesen im Norden eroberten den Süden und
einten das Land. Sie setzten eine Schicht von bis zu 4 Mio Menschen in
Vietnam ausserhalb des Staatsbürgerrechts und diskriminierten sie, verstrieben
sie in Umerziehungs- und Arbeitslager. Das Land war kaum vereinigt, als die
ersten anfingen zu fliehen.
1978 wurde der Ministerpräsident von Niedersachsen aufgeschreckt wie wir
alle von Nachrichten eines chinesischen Seelenverkäufers mit registriertem
Namen „Hai Hong“. Er war ein religiös musikalischer Politiker, wie Max Weber
gesagt hätte, und konnte das nicht so ertragen. Ihm wurde bewußt, dass er mit
diesem Amt eines Ministerpräsidenten in der Verfassung der Bundesrepublik in
der Lage sei, durch seine Entscheidung einfach tausend Menschen zu retten.
Die Hau Hong zog mit über 3.000 Flüchtlingen an Bord von Bangkok nach
Singapur nach Anambas, überall wurde ihr das Einlaufen in die
Territorialgewässer gesperrt. Niemand wollte sie haben. Deshalb entschied
Albrecht, einfach Tausend aufzunehmen. Das war der barmherzige Samariter,
der nicht nach dem Zuständigen in Berlin oder Genf fragt, sondern es tut.
1979 kam das Jahr, als die Flüchtlinge zu zehntausenden wie die Lemminge ins
Süd-China Meer hineinfuhren, mit völlig unzureichend ausgerüsteten Fluß- und
Fischerbooten. Wenn Sie einen Kompaß hatten, dann waren sie schon gut
dran.
Wir starteten die Unternehmung Cap Anamur. Der Ministerpräsident, der uns
auch bei dieser Aktion kräftig geholfen hat, während es sonst im Gebäude von
Bundes und Länderregierungen manchmal gefährlich krachte, war jener,
dessen Tod wir heute hier in Hannover auf das Äußerste betrauern.
Er gab uns immer sofort und bereitwillig die Plätze. Meist tat er das in Briefen,
in den en es hieß: „Ich beglückwünsche Sie zu der Rettung von erneut 386
Menschen im Süd-China Meer“. Um sich ein Bild von der Lage an Bord dieses
Zweimast Frachters Cap Anamur zu machen, luden er und seine Frau uns an
einem Wochenende nach Burgdorf ein, seine Frau lebte noch, wir kamen, ein
Arzt von der Cap Anamur, Franz Alt und ich.
Wir haben ihm zu danken, alle Vietnamesen sind heute in Trauer und haben
ihre Repräsentanten deshalb hierher geschickt, um noch einmal zu sagen:
Danke, lieber Herr Dr. Albrecht, dass Sie als der erste in Deutschland bereit
waren, die Menschheitsehre zu retten.
Bei dem letzten Besuch, zu dem wir ihn öffentlich gebeten hatten, kam er und
hatte wenig Worte aber ein wunderbares Lächeln. Es tat ihm gut, 2010 bei der
Enthüllung eines DANKBARKEITS-steins zum Dank der Vietnamesen an die
Deutschen und besonders an ihn dabei zu sein. Und als die 4000 Vietnamesen,
die da am Landungssteg zusammengekommen waren, nicht nur in stiller
Andacht derer gedachten, die unterwegs in den Fluten des Südchina Meeres
versunken waren, sondern sie begannen klar und ohne irgendwelches Zögern –
die deutsche Nationalhymne zu singen. Ich sah damals in den Augen der
anwesenden Politkern Tränen der Rührung. Das hatten sie in Deutschland noch
nicht erlebt.
Man weiß nicht, was uns Deutschen an Belohnung winkt, wenn wir
Menschenleben retten. Aber in jedem Fall müssen wir retten. Ich hoffe, das
Beispiel des Ministerpräsidenten von Niedersachsen könnte auch in diesen
Tagen des noch einmal Schule machen, damit wir wenigstens damit dem Papst
Franziskus folgen, der uns ermahnt, die Globalisierung der Gleichgültigkeit zu
bekämpfen. Ein Ministerpräsident, eine Ministerpräsidentin eines deutschen
Bundeslandes kann mit einer Unterschrift das Leben von tausend Menschen
retten. Ich wünschte, es würde heute ein weiterer Ministerpräsident das
Andenken des Verstorbenen mit einer Neuauflage dieser Rettungsaktion ehren.
Recht und Gerechtigkeit für die Menschen werden durch beherztes Agieren
erreicht und durchgesetzt. Es gibt eben nichts Gutes, außer man tut es.
Heinrich Böll hatte uns damals – er war neben Albrecht der wichtigste
Unterstützer – eine Charta mit auf den Weg gegeben, die so gut klingt, dass ich
Sie an diesem Tag auf das Grab von Ernst Albrecht als unser aller Vermächtnis
legen möchte. Böll sagte uns: Es ist schön, ein hungerndes Kind zu sättigen, ihm
die Nase zu putzen, ihm die Tränen abzuwischen. Es ist schön, einen Kranken zu
heilen. Einen Bereich der Ästhetik haben wir noch nicht entdeckt, die Schönheit
des Rechts./Über die Schönheit der Künste, eines Menschen, der Natur –
Können wir uns immer halbwegs einigen.//Aber Recht und Gerechtigkeit sind
auch schön und sie haben ihre Poesie wennWENN SIE VOLLZOGEN WERDEN.
Lieber Ernst Albrecht, im Namen der tausend von Ihnen und der 11300
Geretteten durch die Cap Anamur sage ich Ihnen ein herzliches Dankeschön für
das, was Sie getan haben.