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IM JAHR DER WEISEN SCHLANGE
Zum zweiten Mal kamen über 1000 vietnamesische Katholiken der Diözese am Samstag nach Bodelshausen in die Krebsbachhalle: In der Nacht vom 9. auf den 10. Februar feierten sie den traditionellen Jahreswechsel
JÜRGEN JONAS
Dämonenaufmarsch in der Krebsbachhalle, um 18 Uhr in Bodelshausen? Haben die weit über tausend Besucher keine Angst? Nein – der von Trommeln begleitete Umzug grotesker Geschöpfe mit grimmigen Gesichtern und langen Leibern ist nur der Eröffnungstanz des vietnamesischen Neujahrsfests, nennt sich Múa Lân, gehört seit eh und je zu den Volksbräuchen. Die Tradition wird auch fern des Heimatlandes aufrechterhalten. Die katholische Gemeinde der Vietnamesen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat eingeladen, begeht das Tet-Neujahrsfest.
Dämonenvertreibung. Das ist der Einstieg. Ein beleibter Mönch wird von den Bewohnern eines Dorfes gebeten, ihnen gegen üble Geister beizustehen. Der holt den Drachen zur Hilf, unerhört bunt sind die Figuren, unter deren Stoff Menschen stecken. Gold, orange, rot, grün, schön mit Applikationen wie Fühlern an der Nase versetzt. Ein wildes Gewoge schleppt sich über die Bühne, bewegt sich durch die Halle wie eine riesenlange Seeschlange, wagnersch wagalaweiernd sich windend. Aber der Mönch hat alles im Griff, der große Drache steht auf seiner Seite. Die Dämonen geben klein bei. Der Mönch steckt ihnen im Vorbeigehn rote Futterstangen ins Maul, am Ende, gezähmt, enthüllen die Figuren die Schriftrollen, auf denen vielsprachig Wünsche zu lesen sind: „Happy new year“ oder „Alles Gute“. Alles wird gut.
Prügel gegen Demonstranten: dunkle Seiten vietnamesischer Geschichte, zum Anfassen auf der Bühne.Bild: Franke
Das sagt auch der prächtig gewandete „Gott des Reichtums“ mit Gefolge, einer großen Kinderschar mit Blütenzweigen, der in der „Euro-Krise“ zu Hilfe kommt und aus seinem Sack Goldtaler verteilt. Die Kleinen freuen sich, die Großen schmunzeln. Wer im Jahr der Schlange geboren wird, bekommt ein glückliches Händchen in Geldangelegenheiten.
Diese Zeremonien seien nur ein „kurzer Vorgeschmack“, sagt Moderator Minh Tam, der mit seiner Kollegin Thu Thuy durch das Programm führt. Die Nationalhymnen werden gesungen, auch die deutsche, mit höchster Inbrunst. Der Chor singt von „Glückes Unterpfand“ im deutschen Vaterland, dem sich die Vietnamesen zu Dank verpflichtet fühlen, wegen der guten Aufnahme, die ihnen widerfuhr. Das gelbe Flaggentuch geht auf die traditionelle Flagge des Vietnamesischen Kaiserreichs zurück. Drei rote Streifen in der Mitte stehen für die Landesteile Vietnams Tonkin, Annam und Cochinchina. Heute wird die Fahne nur noch von Exilvietnamesen gezeigt. Bürgermeister Uwe Ganzenmüller ließ sich dieses Jahr entschuldigen, richtete Grüße aus und wünschte alles Gute. Ein Grußwort spricht Pfarrer Hubert Rother, beeindruckt von der Farbenfreude, die sich entfaltet. Er findet durchaus sonderbar, „dass wir so eng beieinander leben und so wenig voneinander wissen“. Wünscht, dass das Verständnis füreinander und der Friede in den Herzen wachsen möge. Rother hatte, gemeinsam mit Pfarrer Stephano Bui Thuong Luu, mit zahlreichen Vietnamesen am Nachmittag in der Mössinger Marienkirche einen Gottesdienst gefeiert und um Frieden auf allen fünf Kontinenten gebetet.
Ngoc Lan Le, zweiter Vorsitzender der Gemeinde der katholischen Vietnamesen in der Diözese, zeigte sich glücklich über die Gastfreundschaft, die man in der Seelsorgeeinheit Steinlachtal genießt. Das Fest an Silvester ist, sagt er, immer Gelegenheit, auf das „segensreiche Wirken des vergangenen Jahres“ zurückzuschauen. Es geht darum, auch fern von Vietnam Tradition zu erhalten.
Eine Kung Fu-Show fehlt nicht. Mit fließender Bewegung, Schwertern, Stock und Fächern führen Frauen und Männer der Kung Fu-Schule Hac Long aus Sindelfingen zu Trommelklängeln beherrschte Körperkunst vor Augen. Eine Diashow zeigt archäologische Entdeckungen. In langen Liedern wird der Leidensweg von Vietnamesen beschworen, die nicht mit dem System einverstanden waren, wie es nach dem Ende des Krieges auch in Südvietnam eingerichtet wurde. Die Stoßrichtung geht gegen die herrschenden Kommunisten. Auch gegen die Chinesen, deren Beziehung zum Nachbarn oft problematisch war. Es erklingen aber auch traditionelle Volksmelodien, „Frühling der Liebe“ oder das „Lied der Büffelhirten“, Der vielköpfige Jugendchor singt hingegen „We are the world“. Einer der Höhepunkte ist ein Musical, das in zwölf bewegenden Bildern Geschichten aus der Geschichte des gebeutelten Landes erzählt.
Allein das Essen lohnt den Besuch. Es gibt Wantan, in Blätterteig gehülltes Hackfleisch mit Reis und einer süßsauren Sauce, Goi, einen köstlichen Salat aus Sellerie, Möhren, Mango und Basilikumblättern, der von Krapfen gegessen wird. In großen Schalen wird würzige Nudelsuppe mit Rindfleisch aufgetischt. Und Frühlingsrollen natürlich. Anh Dung Nguyen aus Reutlingen ist für die Verpflegung zuständig. Ihre Freundin Xuan Bich Nguyen hat an der Dekoration gearbetet, zu der auch Origami-Frühlingsvögel gehören. Vierhundert Stück hat sie gefertigt, gemeinsam mit ihrem Mann Duc Binh. Sie wohnt in Filderstadt und arbeitet in einem Pflegeheim, hat einige Kollegen und Heimbewohner eingeladen. Überhaupt sind viele ursrünglich Deutsche in der Halle, freuen sich am Programm, versuchen aufmerksam zu folgen. Gar nicht so einfach angesichts der Sprache. Bilder entschädigen. Der Erlös der Veranstaltung kommt über die Caritas in Vietnam einem Schulprojekt zugute. Denn „es geht nicht ums Geld“, man will helfen.
Nguyen, sagt Duc Binh Nguyen, ist einer der häufigsten Nachnamen weltweit. 36 Millionen Menschen tragen ihn. Er lebt seit über 30 Jahren in Deutschland, hat aus politischen Gründen das Land verlassen, „der Kommunismus hat uns vertrieben.“ In Vietnam hat er Physik studiert, musste in Deutschland sein Studium wiederholen. Früher haben sie in Bonlanden gefeiert, die Halle wurde zu klein. „In Bodelshausen gefällt es uns sehr, wir kommen gerne immer wieder“. Das Jahr 2014 wird im Zeichen des Pferdes stehen, dann kommt die Ziege und 2016 der Affe.